E. Godel: Die Zentralschweiz in der Helvetik (1798-1803)

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Titel
Die Zentralschweiz in der Helvetik (1798–1803). Kriegserfahrungen und Religion im Spannungsfeld von Nation und Region


Autor(en)
Godel, Eric
Erschienen
Münster 2009: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
408 S., Abb.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Josef Inauen, Universität Freiburg i.Ue.

Die in Tübingen unter der Leitung von Prof. Anton Schindling im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 437 «Kriegserfahrungen – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit» entstandene Studie basiert auf einem ausserordentlich grossen und reichen Quellenkorpus und ergänzt die Untersuchung mit einem umfangreichen Anhang, welcher neben ausgewählten Quellen im Volltext und Kurzbiografien der untersuchten Akteure Karten und über zwanzig, im Text analysierte Abbildungen, unter ihnen mehrere Ex-Votos, umfasst.

In der Helvetik wurde die Schweiz intensiv mit dem Kriegsgeschehen konfrontiert. Dabei war die Zentralschweiz von den Revolutionskriegen und ihren Auswirkungen am härtesten betroffen. Eric Godel analysiert die Kriegs- und Umbruchserfahrungen um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert am Beispiel dieser Entwicklungen in der Zentralschweiz und konzentriert sich dabei auf den Zusammenhang von Kriegserfahrung, Religion und Konfession sowie Nation und Region, wobei die Zentralschweiz stark von traditionellen Loyalitäten und tief verwurzelten Bindungen geprägt war. Der Autor zeigt auf, dass die regionalen Loyalitäten hier, anknüpfend an bestehende konfessionelle Erfahrungsräume, in besonders hohem Mass religiös ausgerichtet waren; er untersucht, wie weit sich in diesem Raum die neue, säkulare Vorstellung der revolutionär geprägten Nation in heftiger, kriegerischer Konfrontation zu den alten Vorstellungen durch- und festzusetzen vermochte. Der Autor folgt einem erfahrungsgeschichtlichen Ansatz und stellt fest, wie mühsam die Entwicklung eines Nationalbewusstseins in der Schweiz war. Konfessionelle Deutungskulturen lebten weiter und wurden – wie es die über hundert Jahre dauernde Geschichte der katholischen Sondergesellschaft eindrücklich zeigt – vom modernen Nationalstaat keineswegs nivelliert; zu Recht stellt der Autor fest, dass die Auseinandersetzungen um nationale und regionale Identität in der Schweiz auch weiterhin entlang konfessioneller Trennlinien ausgefochten wurden.

Seinen Untersuchungen legt er vor allem Aussagen und Texte der Kapuziner-Patres Franz Sales Abyberg, Erasmus Baumgartner, Hugo Keller und Paul Styger sowie der Weltgeistlichen Joseph Thomas Fassbind und Karl Joseph Ringold zugrunde. Neben diesen Gegnern der Helvetik kommen aber auch Anhänger der neuen Ordnung zu Wort, etwa die Weltgeistlichen Joseph Maria Businger, Jost Bernard Häfliger, Johann Theoring Keller, Thaddäus Müller oder der radikalste Anhänger der Helvetik in Luzern, Joseph Ronca. Beigezogen werden neben den Predigten auch die Chroniken verschiedener Klöster und autobiografische Notizen, natürlich auch die amtliche Korrespondenz der helvetischen Behörden und vereinzelt auch Gerichtsakten.

Die Dissertation Eric Godels überzeugt durch die breite Quellenbasis, durch die Kombination zwischen theoriegeleiteter Darstellung und der Präsentation vieler Einzelzeugnisse, dann aber auch durch die gründlichen Recherchen zu Einzelfragen, welche für das Verständnis des Ganzen von erheblicher Bedeutung sind: Geschichte der Votivbilder, Freiheitsbaum, Buss- und Bettag, Freifahne, Hirtenhemd, Ursprung und Entwicklung verschiedener nationaler Symbole, biblischer Ursprung vieler Deutungen und Topoi usw. Die gewichtige Studie Godels regt zu weiteren Arbeiten an, u.a.: In welchem Masse und in welcher Form wurde in den späteren politischen und konfessionellen Auseinandersetzungen der Schweiz auf die Deutungsmuster der Helvetik zurückgegriffen? Es wäre interessant, das Aussenbild des Widerstandes noch deutlicher kennenzulernen und zu vernehmen, wie die Innerschweizer Gegner der Helvetik in der übrigen Schweiz, insbesondere im Kreis der Befürworter der neuen Ordnung wahrgenommen wurden. Zum Erfahrungsraum der Innerschweiz fragt es sich, ob es nicht sozio-ökonomische Daten zum Gewerbe, zum Schul- und Gesundheitswesen, zur wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Mitständen und dem Ausland und zur Not der Bevölkerung geben würde, welche den ideologisch-religiösen Aspekt der Auseinandersetzungen erhellen könnten.

Zitierweise:
Josef Inauen: Rezension zu: Eric Godel: Die Zentralschweiz in der Helvetik (1798–1803). Kriegserfahrungen und Religion im Spannungsfeld von Nation und Region. Münster, Aschendorff, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 60 Nr. 3, 2010, S. 376-377.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 60 Nr. 3, 2010, S. 376-377.

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